Gemeindegeschichte Von 1894 bis heute – 130 Jahre Glauben, Gemeinschaft und Verantwortung

  • Anfänge
  • Eine schwierige Zeit (1910-1950)
  • Wachstum (1950-1980)
  • Neubeginn (1980-2000)
  • Aufbruch (2000-Heute)

Anfänge der Baptistengemeinde Göttingen

"Suchet der Stadt Bestes"
(Jeremia 29, 7)

1890er Jahre – Der Anfang in bescheidenen Verhältnissen

Im Jahr 1892 versammelte sich erstmals ein kleiner Kreis gläubiger Christen in Göttingen mit dem Wunsch, eine evangelisch-freikirchliche Gemeinde zu gründen. Die Initiative ging von Brüdern aus Einbeck und Uslar aus. Am 11. September 1892 wurde im Gasthof „Römischer Kaiser“ der erste Gottesdienst gefeiert – ganz ohne festen Prediger, aber voller Hoffnung.

Am 4. August 1894 war es dann so weit: In der Gartenstr. wurde die Baptistengemeinde Göttingen offiziell gegründet – mit 17 Mitgliedern. Möglich wurde das durch Spenden und eine große Opferbereitschaft. Die Gründer waren inspiriert vom baptistischen Pioniergeist, wie ihn Johann G. Oncken in Deutschland entfacht hatte.

1900er Jahre – Die erste eigene Kirche

Im Jahr 1902 wurde in der Bürgerstr. 13, das erste eigene Gotteshaus eingeweiht – mit über 400 Sitzplätzen. Es war ein schlichtes, aber würdiges Gebäude, das für Jahrzehnte Heimat der Gemeinde sein sollte. 1907 wurde es bereits vergrößert, weil die Besucherzahlen stiegen. Göttingen entwickelte sich zur Universitätsstadt, viele junge Menschen besuchten die Gottesdienste.

Eine schwierige Zeit

1910er & 1920er Jahre – Glauben trotz Krieg

Der Erste Weltkrieg (1914–1918) brachte Einschnitte – viele Männer wurden eingezogen, Gottesdienste fanden oft unter schwierigen Bedingungen statt. Dennoch blieb die Gemeinde aktiv. In den 1920er Jahren wuchs sie erneut – getragen von Diakonissen, der Jugendarbeit und Bibelstunden.

Die Weimarer Republik war von Unsicherheit geprägt. Doch inmitten der politischen Instabilität stand die Gemeinde für eine klare Botschaft des Evangeliums und praktischen Zusammenhalt.

1930er & 1940er Jahre – Treue im Dritten Reich und im Krieg

In der Zeit des Nationalsozialismus war auch das Leben der Baptisten eingeschränkt. Freikirchen wurden zwar nicht verboten, aber sie standen unter Beobachtung. Die Gemeinde in Göttingen hielt dennoch zusammen, veranstaltete Taufen und Bibelstunden im privaten Kreis.

Der Zweite Weltkrieg traf auch Göttingen schwer. Viele Gemeindemitglieder wurden einberufen oder mussten fliehen. Das Kirchengebäude blieb jedoch erhalten und wurde nach dem Krieg wieder zum geistlichen Zentrum.

Wachstum und Fortschritt

1950er Jahre – Wiederaufbau und Zeltmission

Nach Kriegsende begann eine neue Zeit. Göttingen wurde zum Zufluchtsort vieler Heimatvertriebener. Die Gemeinde half, wo sie konnte. 1946 begann die „Studentenspeisung“, eine der ersten in Deutschland, bei der täglich warme Mahlzeiten für Bedürftige gekocht wurden.

In dieser Zeit fanden auch Zeltmissionen statt – öffentliche Veranstaltungen mit Musik, Predigt und Taufen im Freien. Die Gemeindeglieder engagierten sich stark. Besonders prägend war der Dienst der Diakonissen: Minna Schulz, Dora Langmaak und später Ingrid Speck betreuten Kranke und Alte – auch konfessionsübergreifend.

1960er & 1970er Jahre – Gründung von Kindergärten & Engagement in der Stadt

1960 gründete die Gemeinde den „Christlichen Arbeitskreis für Kinder- und Jugendarbeit e. V.“, um ein ambitioniertes Ziel umzusetzen: eigene Kindergärten zu bauen. Bereits 1964 wurde der erste eröffnet, 1971 folgte ein zweiter. Beide Einrichtungen wurden jahrzehntelang betrieben und standen allen offen – ein starkes Zeichen praktischer Nächstenliebe.

Parallel dazu wuchs die Gemeinde. Die Sonntagsschule für Kinder wurde ausgebaut, Hauskreise bildeten sich, missionarische Aktionen und Freizeiten stärkten die Gemeinschaft.

1980er Jahre – Umzug und Neubeginn

1984 verließ die Gemeinde das alte Kirchengebäude in der Gartenstraße 13 und bezog das neu errichtete Gemeindezentrum auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es bot nicht nur einen modernen Gottesdienstraum, sondern auch Platz für ein Studentenwohnheim mit zunächst 14 Zimmern.

Diese Entscheidung war visionär: Die Arbeit mit Studierenden hatte in Göttingen eine lange Tradition, und die Gemeinde bot nun jungen Menschen geistliche Heimat und bezahlbaren Wohnraum zugleich.

Auch die Musik bekam mehr Raum – 1985 wurde eine neue Orgel gebaut, die bis heute im Einsatz ist.

1990er Jahre – 100 Jahre Gemeinde

1994 feierte die Gemeinde ihr 100-jähriges Bestehen. In einer Festwoche mit Konzerten, Lesungen (u. a. von Albrecht Gralle), Podien und einem großen Gottesdienst mit Pastor Günter Balders blickte man dankbar zurück.

„Die Gemeinde macht Geschichten, Gott macht Geschichte“, schrieb Pastor Eckhard Schaefer im Vorwort zur Festschrift. Viele Menschen hatten in diesen Jahrzehnten ihre geistliche Heimat gefunden, Verantwortung übernommen, Glauben gelebt.

2000er Jahre – Wandel und Stiftung

2001 wurde der Kindergartenbetrieb eingestellt, 2003 der Trägerverein aufgelöst. Aus dem verbliebenen Vermögen wurde die „Stiftung Christlicher Arbeitskreis für Kinder-, Jugend- und Studentenarbeit“ gegründet. Sie unterstützt bis heute Projekte in diesen Bereichen – ein lebendiges Erbe der Jahrzehnte davor.

Die Gemeinde engagierte sich außerdem verstärkt in der Flüchtlingshilfe, der Mitarbeit im lokalen Diakonischen Werk und der Vernetzung mit anderen Gemeinden in Göttingen.

2010er & 2020er Jahre – Aufbruch, Digitalisierung & Öffnung

In den letzten Jahren erlebte die Gemeinde sowohl Herausforderungen als auch Chancen: Der Generationenwechsel brachte neue Ideen, aber auch die Notwendigkeit, geistliche Heimat neu zu definieren.

Es entstanden neue Gottesdienstformate, digitale Angebote und moderne Strukturen – etwa im Bereich Gruppenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit. Die Corona-Pandemie 2020 war auch für die Gemeinde eine Zäsur – aber sie führte zu neuen Wegen der Verbundenheit: Videoandachten, gestreamte Gottesdienste, Seelsorge per Telefon.

Gleichzeitig wurde das Gemeindehaus neu gedacht: als ein Ort für Stadtteilkultur, Familien, Senioren, Suchende – getragen vom Wunsch, dass der Glaube praktisch wird.

Gott schreibt Geschichte!

Die Geschichte der Baptistengemeinde Göttingen ist eine Geschichte von Treue, Mut und Veränderung. Sie beginnt mit wenigen Menschen in einem Gasthof und reicht bis in die Gegenwart einer offenen, engagierten Stadtgemeinde.

Gott hat Menschen berufen, befähigt und begleitet – in 130 Jahren voller Wandel, Wachstum und Hoffnung.